Wenn ein Hund sich freut, wedelt er mit dem Schwanz. Eine Katze, die Angst hat, macht einen Buckel. Ein Baby, das Hunger hat, schreit. Aber ausgerechnet wir Erwachsenen, die wir theoretisch zig- bis hunderttausende von Vokabeln zur Verfügung haben, tun uns schwer damit, auszudrücken was uns bewegt. Warum ist das so? 

Pseudogefühle

Wir glauben häufig, wir würden bereits über unsere Gefühle sprechen, tun es aber nicht. Denn nur weil wir einen Satz mit „Ich habe das Gefühl …“ beginnt, heißt das noch nicht, dass danach eine Ich-Botschaft und eine Gefühlsäußerung folgen würden. Im Gegenteil: Meistens handelt es sich in Wirklichkeit um Gedankenkonstrukte und Du-Botschaften: „Ich habe das Gefühl, dass du mir gar nicht zuhörst.“

Und unsere Sprache hält reichlich Passiv-Konstruktionen bereit, mit denen wir uns selbst glauben machen, wir würden unsere Gefühle beschreiben, während wir eigentlich unseren (vermeintlichen oder tatsächlichen) Opferstatus zum Ausdruck bringen. Wir „fühlen“ uns dann ...

  • nicht gesehen
  • ausgenutzt
  • für dumm verkauft
  • im Stich gelassen
  • gedemütigt
  • und so viel Schreckliches mehr

Geringschätzung von Gefühlen

Viele halten es für unmännlich, für eine selbstverliebte Nabelschau oder schlicht für Zeitverschwendung, über die eigenen Gefühle zu sprechen. Wir glauben häufig nicht so recht, dass sich andere wirklich für unsere Gefühle interessieren. Diese Überzeugung ist oft in Elternhäusern, Betreuungs- oder Bildungseinrichtungen herangereift, in denen man kindliche Gefühlsäußerungen als lästige Nebensache oder zu bekämpfendes Übel betrachtet hat: „Ein Indianer spürt keinen Schmerz!“ und „Schreien kräftigt die Lungen!“

Die Geschichte der Kindererziehung ist leider keine Geschichte der Erziehung zur emotionalen Kompetenz. Schon gar nicht die spezifisch deutsche Geschichte. Weder den alten Preußen noch Nationalsozialisten ging es darum, psychisch gesunde Individuen heranzuziehen. Gefragt waren brave Mädchen und gefühlskalte Soldaten, die sich weder durch Empathie für den Gegner noch durch eigene Schmerzen aufhalten ließen: „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl!“ Bis in die späten 80er-Jahre wurden Mütter in Erziehungsratgebern wie denen von Johanna Haarer („Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“) dazu aufgefordert, die Bedürfnisse ihrer Babys bewusst zu ignorieren. Selbst heute sind solche Ansätze noch in Beststellern wie „Jedes Kind kann schlafen lernen“ (Annette Kast-Zahn) zu finden.

Angst

Wenn wir unsere Gefühle erst einmal wahrgenommen, sie uns eingestanden und zugestanden haben, fehlt uns oft der Mut, sie auszusprechen. Oft haben wir Angst, schlafende Hunde zu wecken. Wir glauben, unsere „un-erhörten“ Gefühle nur noch größer zu machen, indem wir sie aussprechen. Das Gegenteil ist der Fall: Ungebetene Gefühle werden größer, wenn wir sie leugnen, und legen sich, wenn wir ihnen Raum geben.

Oder wir haben Angst vor Pathologisierung: Wer Gefühle offen zeigt, muss damit rechnen, für depressiv, hysterisch, cholerisch oder hyperaktiv erklärt zu werden. In einer Gesellschaft, in der psychische Krankheiten stigmatisiert werden, ist niemand scharf auf so ein Etikett. Also halten wir uns mit Gefühlsäußerungen abseits von „Freude“ oder „Begeisterung“ lieber zurück.

Und schließlich ist da noch die Angst, nicht die richtigen Worte zu finden. Aber: Es kommt wirklich nicht auf eine geschliffene Sprache an. Du darfst dir gerne ein Vorbild an kleinen Kindern nehmen. Ein Beispiel: Dein*e Partner*in redet auf dich ein und du merkst, dass dir seine*ihre Worte gegen den Strich laufen. Statt lange nach passenden Worten zu suchen, halte dir die Ohren zu und sag: „Aua, das tut weh!“ oder „Hilfe, ich kann nicht mehr!“ Das ist dir zu krass? Ok, dann nimm dir zum „Üben“ vielleicht eine entspannte Situation vor, in der du einfach einmal ungefragt aussprichst, wie es dir geht: „Ich bin heute irgendwie so traurig/so aufgedreht/so angespannt.“ Denk daran: Es geht darum, dich mitzuteilen. Es geht nicht darum, dich mit klugen Worten zu erklären. Alles Gefühle sind erlaubt. Sie kommen und gehen. Du bist niemand Rechenschaft schuldig, warum du dieses oder jenes (nicht) fühlst.

Mach es Dir an dieser Stelle lieber zu einfach als zu schwer 🙂

Fehlende Wahrnehmung

Um über Gefühle zu sprechen, müssen wir sie erst einmal wahrnehmen. Und diese Fähigkeit wurde den meisten von uns eher abtrainiert: „Nimm dich nicht so wichtig!“, „Du hast hier nichts zu wollen!“, „Stell dich nicht so an, so schlimm ist es doch gar nicht!“, „Das tut doch nicht weh, da brauchst du doch nicht zu weinen!“, „Sei nicht traurig!“, „Sei nicht so aggressiv!“, „Sei nicht so ein Angsthase!“ Vielleicht bist du sogar in einem Umfeld groß geworden, in dem Schwäche verachtet wurde und es als Zeichen der Stärke galt, die eigenen Gefühle (beispielsweise Ängste) zu unterdrücken.

Schwierige Rahmenbedingungen

Auch als Erwachsene machen wir nicht immer die besten Erfahrungen damit, uns zu öffnen. Vielleicht erlebst du sogar in deiner eigenen Partnerschaft ein Gegenüber, dass mit deinen Gefühlsäußerungen (noch) nicht so recht umgehen kann. Vielleicht ist dein*e Partner*in so damit beschäftigt, hilfreich sein und alles richtig machen zu wollen, dass er*sie sich gar nicht auf deine Gefühle einlassen kann.

Manche Partner*innen scheinen wirklich jede Gefühlsäußerung als Appell zu verstehen und fühlen sich sofort unter Druck gesetzt, wenn jemand unangenehme Gefühle mitteilt. Andere verstehen alles als Angriff. Und wieder andere haben bei jeder „negativen“ Gefühlsäußerung in ihrem Umfeld Angst, von ihren eigenen Gefühlen überwältigt zu werden. Auf Dauer kann das Beziehungen kalt und oberflächlich machen. Wenn du den Eindruck hast, dich in der eigenen Partnerschaft nicht fallen lassen und öffnen zu können, dann such dir einen anderen Ort, wo das geht. Und fragt Dich, ob Du mit dieser Situation weiter leben oder etwas daran ändern möchtest.

Fazit

Es ist ok, wenn es dir schwerfällt, über Gefühle zu sprechen. Du bist damit in bester Gesellschaft. Und wie du siehst, kommen deine Hemmungen auch nicht aus dem Nichts.

Vielleicht hast du andere Wege gefunden, Dich auszudrücken. Vielleicht bist du auch fein damit, Dinge mit dir selbst auszumachen. Und ja: Bevor wir unsere Gefühle zerreden, ist es manchmal besser, miteinander zu schweigen.

Vielleicht sehnst du dich aber auch nach mehr Austausch. Warum es sich lohnen kann, entgegen aller Schwierigkeiten über seine Gefühle zu sprechen, habe ich in diesem Blogartikel zusammengefasst.

Welchen Weg du für dich auch wählst, ich wünsche dir alles Gute. Und falls ihr euch als Paar Unterstützung darin helfen lassen wollt, über eure Gefühle ins Gespräch zu kommen, könnt ihr hier mehr erfahren.

Unterschrift Michael

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